Der Faustkeil, das „Schweizer Taschenmesser der Steinzeit“
Der Faustkeil stellt das erste voll entwickelte Werkzeug der Menschheit dar und ist sozusagen der Ursprung der menschlichen Technologie. Gebrauchsspurenanalysen zeigen, dass es sich bei Faustkeilen um Universalgeräte handelte, mit welchen man schneiden, schaben, bohren, sägen, hacken und sogar graben konnte. Man erhielt mit diesem „Schweizer Messer der Steinzeit“ zum Beispiel die Möglichkeit, Fleisch zur Nahrungszubereitung zu schneiden oder Äste zu bearbeiten, um aus ihnen Schäfte für Speere oder Lanzen herzustellen.
Faustkeile finden sich in Afrika und Europa bis hin nach Indien und Ostasien und sind auf die Zeitstellungen des Altpaläolithikums (älteste Altsteinzeit; ca. 2,5 Mio. bis 20.000 Jahre vor heute) und des Mittelpaläolithikums (mittlere Altsteinzeit; ca. 200.000 bis 40.000 Jahre vor heute) begrenzt und der langlebigste Werkzeugtyp der Steinzeit.
Der Faustkeil definiert sich als zweiseitiger Gegenstand mit flächiger Bearbeitung (Retusche) auf Ober- und Unterseite mit zwei regelmäßig retuschierten Schneidekanten, welche in der oberen Artefaktregion zu einer zumeist sorgfältig präparierten Spitze zusammenlaufen. Die Symmetrie der Stücke orientiert sich an ihrer Mittelachse, welche von der Basis bis zur Spitze läuft. Ihre Umrisse sind variabel, so treten mandelförmige, runde bis ovale, trianguläre und herzförmige Faustkeile auf.
Faustkeile gehören zu den Kerngeräten. Dies bedeutet, dass ein Ausgangsmaterial durch wiederholtes Abtrennen von Abschlägen (retuschieren) in Form gebracht wird, so dass der Kern des ehemaligen Steins später das Werkzeug bildet. Wenn die scharfen Schneidekanten abgenutzt waren, wurden diese durch weitere Retuschen nachgeschärft. Bei starker Beanspruchung von nur einer der beiden Schneidekannten und dem anschließenden Nachschärfungsprozess ist eine dementsprechende Beeinträchtigung der Achsensymmetrie die Folge.
Faustkeile wurden aus unterschiedlichstem Material hergestellt. In erster Linie handelt es sich auf Grund ihrer guten Bearbeitbarkeit um sehr feinkörnige Gesteine mit hohem Quarzgehalt wie Quarzit, Feuerstein, Hornstein, Chalzedon und Obsidian. Faustkeile können jedoch sogar aus dicken Knochen herausgearbeitet worden sein.
In Ostafrika stellten unsere frühesten Vorfahren im Altpaläolithikum vor rund 2,5 Mio. Jahren, vermutlich Homo habilis und/oder Homo rudolfensis, erste Steinwerkzeuge her. Diese so genannten Geröllgeräte sind jedoch eher behelfsmäßig hergestellte, sehr grob gearbeitete Steinartefakte, die keine sich wiederholende Formidee erkennen lassen. Aus diesen groben Geröllgeräten entwickelt Homo ergaster in Afrika vor etwa 1,5 Mio. Jahren vor heute den Faustkeil in einer sich wiederholenden Formidee. Diese bezeugt, dass das Denken der damaligen Menschen bereits funktionale Ausmaße erreicht hatte. In Afrika verschwindet der Faustkeil um etwa 200.000 bis 180.000 Jahren vor heute mit dem Auftreten des modernen Menschen. Dieser ist anfangs noch mit Funden von Faustkeilen vergesellschaftet, entwickelt jedoch bereits kurz nach seinem Auftreten eigene Werkzeugtypen aus Abschlägen, Faustkeile verschwinden vom afrikanischen Kontinent.
In Europa finden sich Faustkeile, hergestellt von Homo heidelbergensis, ab 400.000 Jahren vor heute, Funde aus Südspanien könnten möglicherweise sogar noch älter datieren. Im Mittelpaläolithikum wird die Faustkeiltradition vom Neandertaler fortgeführt, wenn auch in leicht veränderter Form. Die Faustkeile des Mittelpaläolithikums besitzen im Gegensatz zu den ihnen vorrausgegangen ovalen, mandelförmigen und triangulären Faustkeilen des Altpaläolithikums einen in der Aufsicht herzförmigen Umriss. Sie besitzen nun eine rundumlaufende Schneidekante, so auch entlang der Basis. Kurz vor dem Aussterben der Neandertaler vor rund 40.000 Jahren vor heute verschwindet der Faustkeil endgültig, die letzten Faustkeile datieren um 50.000 Jahren vor heute.
Weiterführende Literatur:
– J. Hahn, Erkennen und Bestimmen von Stein- und Knochenartefakten: Einführung in die Artefaktmorphologie. Archaeologica Venatoria 10 (Tübingen 1991)
– H. Floss (Hrsg.), Steinartefakte: vom Altpaläolithikum bis in die Neuzeit (Tübingen 2012)
Text und Fotos: Julian Göbel