Archäologische Methoden – Von der relativen zur absoluten Chronologie
Die relative Chronologie
Vielleicht haben auch Sie sich schon einmal gefragt, wie der Archäologe eigentlich zu den Datierungen von Funden, etwa eines Keramikgefäßes oder Befunden wie zum Beispiel einer Bestattung, kommt. Meist ist der Weg zu einer exakten Datierung nicht immer einfach, häufig kommt es sogar vor, dass kein exaktes Jahr, sondern nur ein ungefährer Zeitraum für eine Datierung genannt werden kann. Dieser Beitrag soll einmal veranschaulichen, welche Methoden der Archäologe für eine möglichst genaue Datierung heranziehen kann.
Meist kann bereits während einer Ausgrabung eine grobe zeitliche Bestimmung vorgenommen werden. Doch welche Grundlagen setzt so eine Datierung „im Feld“ voraus?
Um eine grobe Einschätzung vornehmen zu können, sind grundlegende Kenntnisse erforderlich, die bereits im ersten Semester des Archäologiestudiums erlernt werden. Die Basis bilden Kenntnisse über die so genannte Stratigraphie (Schichtenabfolge). Eine Stratigraphie stellt grob gesagt eine Abfolge von in der Regel horizontal gelagerten Schichten dar, seien es Gesteins-, Erd- oder archäologische Kulturschichten. Dabei wird die älteste Schicht immer von einer jüngeren Schicht überlagert. Dieses Schema zieht sich bis zur obersten Schicht durch, die folglich die jüngste Schicht innerhalb einer Stratigraphie darstellt. Dieses Schema wendet sowohl der Geologe für Erd- und Gesteinsschichten als auch der Archäologe für Kulturschichten an. Als Vater der „stratigraphischen Methode“ gilt Nicolaus Steno, der diese Beobachtungen bereits im Jahre 1669 publizierte.
Dieses Wissen lässt sich im nachfolgenden Schritt auch auf die Funde innerhalb der unterschiedlichen Schichten übertragen. Gehen wir von einer durchgängigen Stratigraphie aus, die Lückenlos alle Gesteins- und Erdschichten seit Entstehung unseres Planeten beinhaltet, so kann der Geologe durch den Vergleich von tieferen und somit auch älteren (Gesteins-)Schichten mit höheren und somit auch jüngeren (Gesteins-) Schichten erkennen, dass in Bezug auf die Evolution der Lebewesen Fossilien von Fischen bereits sehr früh auftreten, anschließend zusätzlich Amphibien auftreten, gefolgt von den Dinosauriern, welche in jüngeren Schichten von großen Säugetieren abgelöst werden. Diese grobe Einteilung bezeichnet man als „relative Chronologie“. Diese „relative Chronologie“ stellt eine zeitlich grobe Abfolge dar, jedoch ohne genaue Datierungen zu nennen.
Eine „relative Chronologie“ lässt sich in gleicher Weise auch auf archäologische Funde und Befunde projizieren. So kann in unserer hypothetischen Stratigraphie beobachtet werden, dass die ältesten menschlichen Artefakte aus den untersten Schichten aus Stein bestehen. In höhergelegenen, jüngeren Schichten sind Artefakte plötzlich auch aus Bronze hergestellt, während die Artefakte in den darüberliegenden und somit noch jüngeren Schichten zusätzlich auch aus Eisen bestehen.
Christian Thomsen erkannte bereits Anfang des 19. Jahrhunderts, dass in Schichten oder Befunden Steinartefakte zusammen mit Bronzeobjekten auftreten, in den Schichten oder Befunden Bronze zusammen mit Eisen, jedoch werden niemals Steinartefakte mit Hinterlassenschaften aus Eisen innerhalb einer Schicht oder eines Befundes entdeckt. Dies zeigte ihm, dass es sich um Übergangshorizonte handelte, in denen der technologische Fortschritt in der Herstellung von Artefakten nachgewiesen werden kann. Der Werkstoff Stein wird durch Bronze ersetzt, welcher wiederum von Eisen abgelöst wird. Thomsens Erkenntnisse werden als „Drei-Perioden-System“ bezeichnet. Die zeitliche Abfolge von Stein, Bronze und Eisen im archäologischen Kontext stellt eine „relative Chronologie“ dar, was zur Einteilung in Steinzeit, Bronzezeit und Eisenzeit führte. Heute wissen wir, dass behelfsmäßige Steinwerkzeuge auch noch in der Eisenzeit neben Werkzeugen aus Eisen auftreten können, jedoch niemals umgekehrt, so dass sein System trotzdem immer noch gültig bleibt.
Mit Hilfe der „Harris-Matrix“ kann der Archäologe den Aufbau einer Stratigraphie mit ihren unterschiedlichen Schichten und deren Beziehung untereinander schematisch darstellen.
Eine weitere Möglichkeit, eine „relative Chronologie“ aufzustellen, liegt in der so genannten „Typologischen Methode“. Als Typologie bezeichnet man eine voneinander abhängige Abfolge verschiedener Erscheinungsformen einer Fundgattung wie etwa der Fibel (eine Brosche, mit der Gewänder zusammengehalten wurden, quasi die Sicherheitsnadel der Antike) oder des bronzezeitlichen Beils. Grundlegend ist dabei, dass erst einmal davon ausgegangen wird, dass sich Objekte, wie zum Beispiel das bereits genannte Beil, in seinem äußeren Erscheinungsbild vom Einfachen zum Komplexen entwickeln. In der Regel übernimmt ein Objekt einer Fundgattung, dass sich über die Zeit entwickelt, immer ein Merkmal seines zeitlichen Vorgängers. Es wird jedoch auch ein neues Stilelement hinzugefügt, so dass Fundobjekte in eine grobe Reihenfolge gebracht werden können, die ihre Abhängigkeit in Bezug auf Erscheinungsbild und Funktion aufzeigt. Ein bereits in seinem Erscheinungsbild fortgeschrittenes Artefakt innerhalb einer typologischen Reihe kann jedoch auch ein Merkmal seiner Vorgänger aufgreifen, ohne jedoch dessen Funktion zu übernehmen und so nur noch ornamental als Stilelement weiterleben. In einem solchen Falle spricht man von einem „typologischen Rudiment“. Ein Auftreten eines „typologischen Rudiments“ erleichtert daher die Erstellung einer typologischen Reihe.
Eine frühe Form des Telefons stellt das Wählscheibentelefon dar. Im nächsten Entwicklungsschritt, das Tastentelefon, bleibt das äußere Erscheinungsbild nahezu identisch, jedoch wird die Wählscheibe durch Tasten ersetzt. Aus dem Tastentelefon entwickelt sich das tragbare Telefon sowie später auch die ersten Handys. Das Erscheinungsbild ändert sich und als neues Element kommt ein Display hinzu. Den bisher letzten Entwicklungsschritt stellt das Smartphone dar. Mit der Ausnahme, dass die Geräte dünner werden, ändert sich an der Form nichts, jedoch nimmt nun das Farbdisplay die komplette Oberfläche ein, die Wahltasten sind vollkommen verschwunden.
Die Ausgangsform stellt ein einfaches Flachbeil dar (A). Im nächsten Schritt entwickeln sich Randleisten, es entsteht als neuer Typ das Randleistenbeil (B). Die Randleisten werden über die Zeit immer prägnanter (C). Als nächstes Element kommt beim folgenden Absatzbeil (D) ein Absatz hinzu, der sich immer deutlicher herausbildet (E bis H). Im weiteren Verlauf werden die Randleisten beim Lappenbeil (I) zu Lappen, wachsen anschließend zusammen (J) und werden beim Tüllenbeil (K bis L) zu einer Tülle. Auf diesen Beilen sind die Lappen, die beim vorhergegangenen Lappenbeil zur Schäftung dienten, nur noch ornamental vorhanden und Erfüllen keinen praktischen Zweck, stellen daher ein typologisches Rudiment dar.
Die absolute Chronologie
Nun können wir bereits grobe zeitliche Unterteilungen vornehmen, doch wie kommen wir nun zu möglichst genauen Datierungen? Eine gute Hilfe dazu bieten schriftliche Quellen. Mit ihnen ist es möglich, aus einer „relativen Chronologie“ mit grober zeitlicher Einteilung eine „absolute Chronologie“ mit genauen zeitlichen Datierungen zu erstellen. Das Heranziehen von schriftlichen Quellen zur Datierung archäologischer Funde und Befunde bezeichnet man als die „archäologisch-historische Methode“. So wissen wir zum Beispiel aus den Aufzeichnungen Plinius des Jüngeren, dass Pompeji und Herculaneum durch den Ausbruch des Vesuvs im Jahre 79 n. Chr. untergegangen sind. Wir haben somit eine genaue Jahreszahl mit einem archäologischen Befund verknüpft. Ausgehend von diesem Datum und den bereits dargelegten Kenntnissen der Stratigraphie und der relativen Chronologie lässt sich im Weiteren sagen, dass dementsprechend alle Funde und Befunde unterhalb der Schicht, in der der Untergang der beiden Städte zu fassen ist, älter als 79 n. Chr. datieren. Der Archäologe spricht hier vom sogenannten „terminus ante quem“, dem Zeitpunkt, vor dem etwas geschehen ist. Das Jahr 79 n. Chr. bildet aber ebenso den sogenannten „terminus post quem“, den Zeitpunkt nachdem etwas geschah, für die jüngeren Schichten oberhalb der Unglücksschicht.
Ein weiteres prominentes Beispiel stellt der sogenannte „Perserschutt“ dar, welcher die antiken Schutt- und anschließenden Planierschichten im Bereich der Akropolis Athens bezeichnet, die entstanden, als die Perser im Jahre 480/479 v. Chr. Athen plünderten. Mit diesem Datum lässt sich der Übergang von schwarz- zu rotfiguriger Keramik innerhalb der griechischen Vasenmalerei nachweisen. Auf schwarzfiguriger Keramik sind die Motive schwarz dargestellt, auf rotfiguriger Keramik rot. Da in den Schichten unterhalb des Perserschutts ausschließlich schwarzfigurige Keramik vorkommt, in den darauf liegenden Schichten jedoch nur noch nahezu ausschließlich rotfigurige Keramik, ist der Übergang deutlich erkennbar. Die Jahre 480/479 v. Chr. bilden also den „terminus ante quem“ in Bezug auf schwarzfigurige Keramik sowie den „terminus post quem“ für rotfigurige Keramik.
Auch das Prägedatum einer Münze hilft uns, eine Datierung zu konkretisieren, wobei hier angemerkt werden muss, dass diese für die archäologische Schicht, in der sie gefunden wurde, nur den „terminus post quem“ wiedergeben kann, da hier das sogenannte Laufzeitenproblem vorliegt. Dies bedeutet, dass zwar das genaue Prägedatum vorliegt, sich eine Münze jedoch noch Jahrzehnte, manchmal sogar Jahrhunderte im Umlauf befunden hat und eine Datierung der zugehörigen archäologischen Schicht so nicht zweifelsfrei vorgenommen werden kann. Finden wir jedoch eine zweite Münze mit einem anderen Prägedatum in derselben archäologischen Schicht, so lässt sich ein Zeitraum eingrenzen. Das bedeutet, dass umso mehr Münzen mit unterschiedlichen Prägedaten innerhalb einer Schicht entdeckt werden, desto genauer wird die Datierung eben jener Schicht. Ebenso verhält es sich mit den unterschiedlichen Markern, welche die „archäologisch-historische Methode“ bieten kann. Durch das Zusammenfügen der unterschiedlichen exakten Datierungen konnten Archäologen der letzten zwei Jahrhunderte in mühseliger Puzzlearbeit eine recht lückenlose „absolute Chronologie“ für archäologische Funde und Befunde für schriftführende Kulturen erstellen. Diese wird aber immer wieder durch neueste Erkenntnisse aus der Forschung zusätzlich ergänzt oder verändert.
Weiterführende Literatur:
– Eggers, Hans Jürgen, Einführung in die Vorgeschichte. Berlin 2004
– Eggert, Manfred K.H., Prähistorische Archäologie: Konzepte und Methoden. Tübingen 2001
Text: J. Göbel, Fotos: J. Göbel und M. Stremke